6. Tag – Korsika liegt einem zu Füßen

Gegen halb 9 war ich wieder mit Sack und Pack auf den Beinen. Die Nacht war sternenklar und recht frisch. Die Sonne und der Ausblick vom Col de Luana wärmten jedoch schnell des Wanderers Herz. Ich verweile ein paar Minuten auf dem 1.800 Meter hohen Col de Luana und genieße die Fernsicht.

20 Minuten später schaut man zurück und hinunter zum Col de Luana, denn es geht weiter stetig bergauf. Ein leichter und aussichtsreicher Anstieg – vielleicht der schönste der gesamten Tour im Süden. Noch einmal blicke ich zurück in Richtung Col de Luana (1.800 m).

Aufstieg zum Monte Incudine

Auf einem nur leicht ansteigenden Pfad bestreitet man den Aufstieg zum Monte Incudine. Mit 2.100 Metern ist dieser Gipfel die höchste Erhebung während meiner Tour. In der zurückliegenden Nacht noch gefroren, und nun rennen mir bei strahlendem Sonnenschein fortlaufen Schweißperlen über die Stirn.

Aufstieg zum Monte Incudine

Auf dem Berggrat kann man immer wieder bei einem kurzen Stop den Blick hinunter zum Meer genießen. Obwohl, so richtig gut ist das Meer nicht mehr auszumachen. Die Feuchtigkeit in der Luft lässt die Küstenlinie und den Horizont verschwinden.

Hinter dem Horizont…

Gipfel des Monte Incudine 2.120m

Auf dem Gipfel des Monte Incudine hat man eine spektakuläre Rundumsicht. Nur ganz wenige Grashalme können auf diesem Felsplateau Fuß fassen. Das Gipfelkreuz, eine Stahl-Beton-Konstruktion, ist inklusive Sockel umgekippt und gibt ein eigenartiges Bild ab. Und ich dachte schon, ich sei geknickt. Die fantastische Szenerie setzt bei mir neue Kräfte frei, zumindest für einen kurzen Moment.

Gipfel des Monte Incudine 2.120m

Blick in Richtung Süden

Blick in Richtung Süden

Ganz oben rechts im oberen Bild erkennt man die Bucht vor Puerto Vecchio, wo ich, was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnte, am nächsten Tag einen Mietwagen übernehmen sollte, der mich die Küste hinauf wieder nach Bastia brachte. Ganz rechts unten hingegen ist der Pfad Richtung Refuge D’Asinao zu erkennen. Das Refuge selbst ist allerdings nicht zu sehen.

Abstieg vom Monte Incudine

Der zum Teil steile Abstieg vom Monte Incudine hinunter zum Refuge d’Asinao hat es in sich. Für die 600 m Höhenunterschied habe ich etwa 75 Minuten gebraucht!

Abstieg vom Monte Incudine

Was an dieser Stelle (Foto unten) aussieht wie der Weg zum Gipfel, ist tatsächlich der Weg hinunter. Wie man sieht, führt der Pfad alles andere als geradewegs nach unten. Wenn schon der Abstieg kraftraubend ist, kann man sich vorstellen, wie der Aufstieg an dieser Stelle sein mag. Denn tatsächlich entscheiden sich viele Wanderer dafür, den GR 20 im Süden zu starten.

Abstieg vom Monte Incudine

Aufgeschreckt von meinen Schritten, verlassen Echsen ihren Sonnenplatz und huschen zwischen die Felsspalten

Während ich in den vergangenen Tagen ca. 20 Feuersalamander, teilweise mitten auf dem Weg verharrend sah, ist die Zahl der Echsen nicht zu beziffern. Aufgescheucht von meinen Schritten huschen sie zwischen den Steinen hervor, um sich auch gleich wieder in den Ritzen zu verstecken.

Echsen

Als ich zurück blicke, hinauf zum Monte Incudine (Foto unten), bin ich froh und erleichtert, dass ich diesen Weg hinab gegangen bin und nicht hinauf steigen muss. Die Bezeichnung „Weg“ ist dabei sehr wohlwollend formuliert. Der Pfad ist ein wildes, kraftraubendes Auf und Ab über Felsen und Gestein, bei dem das ein ums andere Mal der Einsatz der Händen erforderlich ist. Vom Tal hört man das Abkühlung verheißende Plätschern eines Bachs. Eine wunderbare Naturkulisse ist das hier.

Im Tal ist das Refuge d’Asinao erreicht. Auch hier ist außer mir kein anderer Wanderer.

Refuge d’Asinao

Ich nutze die komfortable Möglichkeit, die Wasservorräte an einer Wasserstelle aufzufüllen. Nach dem kräftezehrenden Abstieg, freut man sich auf das kühle Nass am Refuge d’Asinao. Allzu voll muss man seine Flaschen allerdings nicht füllen, denn während der folgenden Wegstrecke gibt es reichlich Quellen und Bäche. Das Wasser ist so gut, dass es nicht einmal aufbereitet werden muss. Ich habe in den 5 Tagen schätzungsweise 20 Liter aus Bächen und Quellen getrunken, ohne dass es irgendwelche Probleme margentechnischer Art gab.

Wasserstelle am Refuge d’Asinao

Dichter Wald

Im weiteren Verlauf führt der GR 20 zwischen Refuge d’Asinao und dem Bavella-Pass vorwiegend durch Nadelwald. Nur an wenigen Stellen wird der Blick auf die Umgebung frei (Foto unten). Mag sein, dass auch die schwindenden Kräfte den Eindruck verstärken, aber gerade in diesem Abschnitt erscheint mir der GR 20 ein wenig dunkel, wenn nicht sogar düster. Immer wieder passiert man Stellen, wo Wildschweinrotten wüst umgepflügte Erdlöcher hinterlassen haben.

Dichter Wald

Ausstieg am Bavella-Pass

Bavella

Der Bavella-Pass ist von hier aus (Foto oben) nur circa 30 Minuten entfernt. Die Gegend ist sehr beliebt bei Kletterern. Dank der Felswände reichen ihre Stimmen aus luftiger Höhe bis hinunter in den Wald. Für mich endet am Pass die 5-tägige Wanderung. Das letzte Teilstück, das fast durchweg im schattigen Wald verlief, empfand ich als demotivierend. Die Luft war raus. 94 Wanderkilometer, 6.680 Höhenmeter und viele wunderbare Eindrücke hatte ich während der vergangenen fünf Tagen gesammelt.

Ich verbrachte die folgende Nacht in der „Auberge Bavella“, wo die Mehrbettzimmer im Souterrain dunkel und der Service lausig sind. Die Bedienung im Restaurant hatte partout keine Lust, ihrer Arbeit nachzugehen, geschweige denn ein freundliches Gesicht aufzusetzen. So fuhr ich am nächsten Morgen in aller Frühe per Anhalter nach Puerto Vecchio, wo ich mit einem Mietwagen die Küste entlang hinauf nach Bastia fuhr. Gleich der erste Wagen hielt an. Ein kurzweiliger Plausch mit einem freundlichen Herrn. Zumindest dies ein versöhnlicher Abschied vom Bavella-Pass.

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